Die Zitronenpresse


Mitten in Köln-Riehl, einem eher ruhigen Stadtteil nördlich der Innenstadt, steht ein Bauwerk, das aussieht, als hätte jemand eine überdimensionale Zitronenpresse in die Landschaft gesetzt – und genau deshalb wird es von den Kölnern auch liebevoll "Zitronenpresse" genannt. Doch hinter diesem schrägen Spitznamen steckt eine echte architektonische Sensation: die Kirche St. Engelbert.

Geboren wurde diese steingewordene Exzentrik Anfang der 1930er-Jahre – einer Zeit, in der man in Kirchen noch Türmchen, Schnörkel und biblische Wandmalereien erwartete. Aber nein, Architekt Dominikus Böhm dachte sich: „Warum nicht mal was ganz anderes?“ Und so entwarf er eine Kirche, die aussieht wie ein Raumschiff aus einer expressionistischen Zukunftsvision – oder eben wie eine Zitronenpresse. Geschmackssache.

Von außen wirkt sie wie ein steinernes Zelt Gottes, das sich zur himmlischen Lichtquelle hin öffnet. Und genau das war auch Böhms Idee: ein Ort, an dem sich der Himmel über die Gemeinde wölbt. Die Kuppel besteht aus Segmenten, die sich nach oben hin auffächern, mit einem gewaltigen Fenster, durch welches das Licht fast dramatisch auf den Altar fällt. Wer den Raum zum ersten Mal betritt, hat fast das Gefühl, in einer Mischung aus Kathedrale und Theater gelandet zu sein – nur ohne Vorhang.

Und St. Engelbert hat nicht nur architektonisch Geschichte geschrieben, sondern auch ein Stück rheinischer Kultur erfunden. Hier predigte nämlich Kardinal Josef Frings an Silvester 1946 seine berühmten Worte über das „Mundraub-Fringsen“ – also das legale Klauen aus Not. In seiner Predigt sagte er sinngemäß, dass es kein Unrecht sei, wenn Menschen in der Not Lebensmittel „organisierten“, um ihre Familien zu ernähren. Die Kölner waren begeistert, das Wort „Fringsen“ war geboren – und plötzlich wurde die Zitronenpresse zur Wiege einer ganz besonderen Form christlicher Sozialethik.

Der Innenraum mit einer fast meditativen Atmosphäre. Kein überladenes Zierrat, keine Engelchen mit Posaunen an jeder Ecke – stattdessen klare Linien, gezielte Lichteffekte und ein starker Fokus auf das Wesentliche. Versteckte Schönheiten, wie der springende Fisch im Taufbecken. Böhm war seiner Zeit weit voraus. Viele Ideen, die später beim Zweiten Vatikanischen Konzil als „neue liturgische Ordnung“ gefeiert wurden, hat er hier schon klammheimlich eingebaut.

Dass diese architektonische Pionierleistung ausgerechnet im eher beschaulichen Riehl steht, macht sie umso sympathischer. Wer also mal genug hat von gotischem Größenwahn im Dom oder romanischer Pracht in St. Gereon, sollte einen Abstecher zur Zitronenpresse machen. Sie mag vielleicht keine Zitrone auspressen, aber garantiert ein „Wow“ aus jedem Besucher.

Und ganz ehrlich: Wo sonst kann man beten, staunen – und gleichzeitig das Gefühl haben, Teil eines kleinen Stücks kölscher Geschichte zu sein?

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